UNPOLISHED wurde 2016 als Performance-Festival von in Berlin lebenden polnischen Künstler:innen aus dem Bereich Tanz und Choreografie gegründet mit dem Ziel das „nationale“ in das „internationale“ zu übertragen. Nach einer weiteren Ausgabe 2017 musste das für 2020 geplante Festival aufgrund der Pandemie abgesagt werden. Seitdem pausiert das Festival.
Den Überlegungen, das Festival aus dieser erzwungenen Pause zurückzuholen, erschien das POLISH im Titel zunehmend fragwürdig. Einst nur ein Wortspiel, fühlte es sich in Zeiten eines Wiedererstarkens nationalstaatlichen Denkens einerseits und nach mehr als zwei Jahren Pandemie-Erfahrung andererseits so an, als gehöre es ebenfalls zu einem veralteten, überwunden geglaubten nationalstaatlichen Modell, das wir so gerne hinter uns lassen wollten.
Mit dieser aktuellen Ausgabe von UNPOLISHED, die im Dialog zwischen Joanna Leśnierowska und Peter Pleyer konzipiert wurde, schlagen wir daher eine andere Blickrichtung ein: Indem wir das Nationale genauso wie sein Gegenstück, das Inter-Nationale hinter uns lassen, möchten wir eine Perspektive einnehmen, die eine Inter- oder sogar Trans-Lokalität ermöglicht: Statt Polen als einzigen Bezugspunkt von UNPOLISHED zu nehmen, möchten wir verschiedene ost- und mitteleuropäischen Orte miteinander in Beziehung setzen d.h. ihre Zwischenräume erkunden. Aufgrund welcher gemeinsamen sowie unterschiedlichen Erfahrungen wurden und werden dort welche künstlerischen Strategien entwickelt? Und haben diese Erfahrungen und Strategien eher einen regional geprägten oder einen universell gültigen Charakter?
Im Rahmen des Programms des diesjährigen UNPOLISHED Festivals, das gleichzeitig den Abschluss des Projekts Terrestial Transit von cranky bodies a/company bildet, haben wir uns entschieden, Arbeiten von fortgeschrittenen, wenn auch um größere Anerkennung ringenden Künstlerinnen aus Budapest, Erfurt und Warschau vorzustellen. Wir möchten sowohl ihr lokales Lebens- und Arbeitsumfeld diskutieren als auch die Frage stellen, was es bedeutet, an den Orten und in den Kontexten, aus denen sie kommen, als Künstlerin zu arbeiten. Inwieweit hat es sich im Laufe der Jahrzehnte, in denen es mehrere politische Transformationen und künstlerische Generationen gab, verändert – oder auch nicht?
Wenn wir an der polierten Oberfläche kratzen ... , welche ungeschliffenen Edelsteine werden wir darunter finden?
UNPOLISHED ist eine Koproduktion von DOCK ART, dem Muzeum Susch und der Art Stations Foundation CH, gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa.
Kuratiert von Joanna Leśnierowska und Peter Pleyer.
PROGRAMM ÜBERSICHT
Donnerstag, 20. Oktober, 19 Uhr
Berlin Premiere
Uteri Migrantes
Ein Solo von Renata Piotrowska-Auffret
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Freitag, 21. Oktober, 19 Uhr
Veitstänze
Ein Abend mit Gabriele Stötzer und Monika Branicka
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Rahmenprogramm: 21. Oktober, 11 -14 Uhr im DOCK 11 Saal 3
Performance-Workshop mit Gabriele Stötzer: Bewegungen im geschlossenen Raum
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Samstag, 22. Oktober, 19 Uhr
Berlin Premiere
LetMeC
Eine partizipative Nackt-Performance von Márta Ladjánszki und Zsolt Varga
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Wegen des künstlerische Konzepts werden alle Zuschauer gebeten, während der gesamten Dauer der Aufführung nackt zu sein. Zu Beginn der Performance entkleiden sich alle Teilnehmer:innen in der Theaterhalle. Die Darsteller:innen und das Personal im Aufführungsraum werden ebenfalls nicht bekleidet sein. Bitte bringt ein Handtuch mit, um darauf zu sitzen! Fotografieren bzw. filmische oder akustische Dokumentationen sind strengstens untersagt. Mit dem Kauf der Eintrittskarte stimmt Ihr zu während der Vorstellung komplett unbekleidet zu sein. Mehr Infos zum Besuch der Performance
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Sonntag, 23. Oktober, 19 Uhr
The Art Of Movement
Film und Gespräch mit Boglárka Börcsök
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DETAILLIERTES PROGRAMM
Donnerstag, 20. Oktober, 19 Uhr
Uteri Migrantes
Ein Solo von Renata Piotrowska-Auffret
Uteri migrantes bedeutet auf Lateinisch „wandernde Gebärmütter“. Die Gebärmutter war jahrhundertelang die Erklärung männlicher Theorien und Fantasien über „abnormales“ weibliches Verhalten, wie z. B. kreischen, laut lachen oder ungewöhnliche Gesten oder Bewegungen machen. Jahrhundertelang dominierte dabei die Vorstellung von der Gebärmutter als ein lebenden Tier, das weibliche Anomalien verursacht – immer mit dem Ziel, das Verhalten und die Lebensweisen von Frauen zu kontrollieren und einzuschränken. Wie können wir uns von den historischen und zeitgenössischen Stigmata der Gebärmutter und des weiblichen Körpers befreien? Wie können wir die Geschichte neu schreiben und die Narration einfordern, die uns gehört?
Das neue Solo von Renata Piotrowska-Auffret ist das fünfte Werk der Serie PRIVATE PIECES, die sich mit der politischen Aspekten des weiblichen Körpers beschäftigt.
In Uteri migrantes spielt die Gebärmutter die Hauptfigur, die mit Distanz, Humor und Sorgfalt behandelt wird und durch das Prisma des Alterns betrachtet wird.
Choreographie / Regie / Text: Renata Piotrowska-Auffret
Choreografische Zusammenarbeit: Aleksandra Bożek-Muszyńska, Anna Charlotta Nordanstedt (ANNA & CO)
Kostüm / Objekt: Pipa Piwosz
Musik: Simon Auffret
Kompositionen: Anna Szwajgier
Licht Design: Estelle Gautier
Video: Katarzyna Fabińska
Dramaturgische Beratung: Michael de Cock, Joanna Leśnierowska
Recherche: Natalia Miłuńska, Natalia Oniśk, Aleksandra Osowicz
Partner: Ochota Theater (Polen)
Produktionsmanagement: Karolina Wycisk / Performat Production (Polen), Météores - plateforme chorégraphique et constellation artistique (Frankreich)
Photo: Anna Błaszczyk
Dauer: 60 Minuten
Koproduktion: KVS Brüssel (Belgien), Dans I Trondelag (Norwegen), House of Utopia & Teatr Łaźnia Nowa (Polen), International Festival of Dance and Performance Body / Mind, DOCK ART, Senatsverwaltung für Kultur und Europa Berlin
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Freitag, 21. Oktober, 19 Uhr
Veitstänze
Ein Abend mit Gabriele Stötzer und Monika Branicka
Im Gespräch mit Monika Branicka (Kuratorin) wird die Künstlerin und Schriftstellerin Gabriele Stötzer über ihre künstlerische Praxis zu DDR-Zeiten und nach der Wende berichten und insbesondere auf die Bedeutung des nackten Körpers in totalitären Systemen eingehen: Warum hatte ein nackter Körper eine solche politische Kraft und konnte damit als Protestmittel eingesetzt werden? Welche soziale, kulturelle und symbolische Rolle spielte Nacktheit damals? Dabei werden auch Parallelen zu Künstler:innen aus anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks (wie z.B. Polen) gezogen.
Gabriele Stötzer wird auch auf die Performances von Frauen aus der Künstlerinnengruppe Erfurt eingehen. Sie selbst sagt: „…in der Frauengruppe wollten wir voneinander lernen was Frau ist; es gab ja die sozialistische sinnlich kastrierte Frau als Eigentum der Politik; Eigentum der in Kleinlichkeit und Spießigkeit strotzenden Altmännerpolitik der SED. Es ging uns darum das Weibliche anzunehmen…“. Im Anschluss wird die Künstlerin berichten, wie sich ihre künstlerische Praxis nach der Wende geändert hat – und was der Körper für sie heute bedeutet.
Im Rahmen der Veranstaltung werden drei Filme gezeigt: Die Geister berühren (mit der Künstlerinnengruppe Erfurt, 1987, 25 min), Veitstanz/Feixtanz (1988, 25 min) und ...hab ich euch nicht glänzend amüsiert? (1989, 12 min).
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Samstag, 22. Oktober, 19 Uhr
LetMeC
Eine partizipative Nackt-Performance von Márta Ladjánszki und Zsolt Varga
Dies ist die Nacktversion des Stückes – die Darsteller:innen sowie das Publikum sind nackt.
Mehr Infos zum Besuch der Performance
In einer Zeit, in der Nacktheit auf der Bühne uns allen so selbstverständlich erscheint, der nackte Körper zum selbstverständlichen Bestandteil zeitgenössischer Kunst geworden ist und die Frage nach den Gründen von Nacktsein auf der Bühne nicht mehr allzu oft gestellt wird, bietet LetMeC eine neue Art, das Miteinander zu hinterfragen und Nacktheit auf und hinter der Bühne zu erspüren. Was passiert, wenn nicht nur die Performer:innen, sondern auch das Publikum nackt ist? Die Antwort erhalten nur diejenigen, der die Einladung annehmen, sich von ihrer Kleidung zu befreien um die Performance nackt zu sehen. In direktem Dialog mit dem Raum und dem Publikum entsteht ein Bereich, der es uns ermöglicht, Nacktheit ohne die üblichen Bezugspunkte zu erleben – und so eine intensive gemeinschaftliche Begegnung bietet.
Márta Ladjánszki und Zsolt Varga nehmen das Publikum mit auf eine einzigartige Reise, die von der hoffnungsvollen Überzeugung getragen wird, dass echtes Miteinander und wahre Erfahrung von Gemeinschaft immer noch möglich ist – im Theater und außerhalb – und dass sie zweifellos mehr denn je gebraucht wird.
Choreografie / Konzept: Márta Ladjánszki
Komposition / Musik: Zsolt Varga
Performance: Márta Ladjánszki, Zsolt Varga
Dauer: 30 min plus Zeit für das Gespräch mit den Künstler:innen
L1 Association präsentiert: Márta LADJÁNSZKI & Zsolt VARGA (H) LetMeC_natur
Mit Unterstützung von L1 Association, Virtual Association of Naturists (NaVKE), Bakelit MAC
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Sonntag, 23. Oktober, 19 Uhr
The Art Of Movement
Film und Gespräch mit Boglárka Börcsök
DE 2020, 58 Min., Ungarisch mit englischen Untertiteln
Ein Tanzfonds Erbe Projekt
The Art of Movement ist ein sinnlicher und eindringlicher Film über drei ältere Tänzerinnen aus Budapest. Éva E. Kovács, Irén Preisich und Ágnes Roboz – alle zwischen 90 und 100 Jahre alt – waren einst Teil der modernen Tanzbewegung in Ungarn. Regisseurin Boglárka Börcsök schlüpft in die Rolle der Schülerin und Gesprächspartnerin und zeichnet nach, wie jede der Tänzer:innen ihr Leben und ihre Bewegungspraxis verändert hat, um die großen gesellschaftspolitischen Umbrüche des letzten Jahrhunderts zu überstehen. Der Film ermöglicht eine persönliche und körperliche Begegnung mit drei sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten und ihrer Beziehung zu ihrer Vergangenheit und Gegenwart.
Wenn sie auf die Bühne zurückkehren und in ihren privaten Räumlichkeiten auftreten, offenbaren Irén, Éva und Ágnes einen unglaublichen Reichtum an Erfahrungen, der in ihren Körpern bewahrt wird – eine Choreographie der Erinnerungen.
Mit: Éva E. Kovács, Irén Preisich, Ágnes Roboz
Buch / Regie: Boglárka Börcsök
Künstlerische Zusammenarbeit: Andreas Bolm
Schnitt: Andreas Bolm, Boglárka Börcsök
Kamera: Lisa Rave
Produktion: Whole Wall Films, Boglárka Börcsök
Produktionsleitung: Elisa Calosi
Farben, Sound: Andreas Bolm
Tonmischung: Jochen Jezzusek
Englische Übersetzung: David Robert Evans
Gefördert von Tanzfonds Erbe – eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes, La Musée de la Danse / Centre chorégraphique de Rennes et de Bretagne, Senatsverwaltung für Kultur und Europa, Berlin.
Unterstützt von Akademie Schloss Solitude und József Attila Circle im Rahmen des osteuropäischen Austauschprogramms, Ungarischer Nationaler Filmfonds – Filmarchiv, OSzMI – Ungarisches Theatermuseum und Institut, PACT Zollverein Residency-Programm, AQB – Art Quarter Budapest, Franz Liszt Musikakademie, Orkesztika Stiftung, weltfilm.