Felix Ruckert

Felix Ruckert studierte von 1982-1992 Tanz in Berlin, an der Folkwang Hochschule in Essen sowie in Paris und New York. Seine einflussreichsten Lehrer waren Malou Airaudo, Jean Cebron, Hans Zuellig, Peter Goss, Barbara Mahler und Alberto Corvino.

Bereits während seiner Ausbildung begann er mit der Arbeit an eigenen Choreographien. Sie erregten erstmals öffentliche Aufmerksamkeit, als sie bei Choreographiewettbewerben in Cagliari (1987) und Hannover (1989) ausgezeichnet wurden. Cut, das 1992 in Paris uraufgeführt wurde, sorgte für einen ersten Skandal: Die Aufführung war hochgradig sexuell und lud das Publikum zum ersten Mal zur Interaktion mit den Tänzern ein.

Während er diese frühen Stücke schuf, arbeitete er kontinuierlich als Tänzer: Er nahm an den ersten drei Produktionen von Wanda Golonka / VA Wölfl - Neuer Tanz, Düsseldorf (1987-1989) teil und verbrachte dann drei Jahre in Frankreich, wo er in Choreographien von verschiedenen Vertretern des jeune danse française wie Jean-Francois Duroure (1990), Mathilde Monnier (1991), Sidonie Rochon und Charles Cré-Ange (1991) tanzte. 1992 trat er dem Wuppertaler Tanztheater von Pina Bausch bei, wo er verschiedene Stücke des Repertoires interpretierte, darunter Le Sacre du Printemps, Viktor, Auf dem Gebirge..., Kontakthof, Blaubart und Palermo, Palermo. Er war auch an der Schaffung von Das Stück mit dem Schiff (1992) und Trauerspiel (1993) beteiligt.

1994 verließ er die Kompanie, um als nomadischer Choreograph zu arbeiten. Sein Improvisationsprojekt Die Küche (1993-1995), ein mehrstündiges Performance-Ritual mit bis zu 30 lokalen Tänzern und Musikern, wurde in 12 europäischen Großstädten aufgeführt. 1995 schuf er auf Einladung des Dock 11, Berlin, die erste Version von Hautnah - eine Sammlung von Solo-Performances für Solo-Publikum - die seinen internationalen Ruf begründete. Nach zwei Jahren der Verfeinerung des Konzepts wurde Hautnah 1998 auf der Tanzplattform Deutschland gezeigt und 1999 von der New York Times zu den "10 wichtigsten Performances des Jahres" gezählt. Das Stück wurde 243 Mal in der ganzen Welt aufgeführt.

Die folgenden Produktionen Krapplack (1997), Schwartz und Eden Projekt (1998), Ring und Choreographisches Projekt (1999), deluxe joy pilot (2000), Stillen, City Sleepers, Blind Dates (2001), Secret Service (2002), MushRoom (2003), Love Zoo (2004), Messiah Game (2005) und United Kingdom (2006) überraschten weiterhin sowohl Anhänger als auch Gegner mit radikalen inhaltlichen Entscheidungen im Werk und mit der Infragestellung der gewohnten Zuschauer-Darsteller-Beziehung. Sehr oft lässt Felix Ruckert das Publikum eine aktive Rolle in der Aufführung spielen und konfrontiert es mit intensiven und lang anhaltenden Emotionen, weshalb sein Name zu einer Referenz für partizipatorische Performance wurde.

Dennoch arbeitet er weiterhin auf konventionellen Bühnen, erforscht reine Bewegungs- und Improvisationsstrukturen und wird oft als Gastchoreograf von internationalen Ballettkompanien eingeladen: Tools and Tricks... für Ballet du Rhin (2002), Venus in Hanoi für das National Ballet of Vietnam (2004), tokyo-tools für Star Dancers Ballet Tokio (2005), Betwixt&Between auf Kampnagel, Hamburg (2006), Engenho für das Ballet Teatro Castro Alves, Salvador da Bahia (2008) sind Beispiele für diesen Teil seiner Arbeit mit klassisch ausgebildeten Tänzern. Von 1998 bis 2006 wurde die Kompanie vom Berliner Senat unterstützt, danach produzierte sie unabhängig. Sie wird regelmäßig vom Goethe Institut für internationale Tourneen und Workshops unterstützt. Felix Ruckert wurde von verschiedenen ausländischen Institutionen und Kompanien in Antwerpen, Brüssel, Cagliari, Helsinki, Paris, Prag, Lausanne, Lissabon, Montreal, Toulouse, Hanoi, Tokio und Kyoto als Choreograph eingeladen.

Ab 2006 begann er, narrative Elemente in seine Stücke einzubauen, wobei er in Performances wie On Pain and Presence (2006) und Spaces for Stories (2009) ausgiebig Stimme und Texte verwendete. In denselben Jahren schuf er auch Performance-Installationen, die sich auf die Reduktion von Bewegung in eher technischen Sets und meditativen Settings konzentrieren: Placebo Treatment (2005), Water Music (2006) und Die Farm (2008).

Im Juli 2004 konzipierte und kuratierte Felix die erste Ausgabe des xplore Festivals, das im Dock 11 in Berlin stattfand. Seitdem versammelt das Festival jedes Jahr im Juli eine Vielzahl internationaler Referenten und einige hundert Künstler, BDSMler und andere Freigeister, die sich zu Workshops, Vorträgen und Gesprächen über kreative Sexualität, BDSM und Tantra treffen. xplore lässt sich als Social Choreography kategorisieren und fördert eine Ars Erotica im Sinne von Foucaults Schriften. Seit 2011 wurden lokale Versionen von xplore in Sydney, Australien, in Paris, Barcelona, Wien und Rom organisiert. 2018 zog die Berliner Veranstaltung in die Malzfabrik in Berlin-Tempelhof um, wo sie derzeit jedes Jahr rund 600 Teilnehmer versammelt.

Im März 2007 eröffnete Felix Ruckert seinen eigenen Veranstaltungsort in Berlin: schwelle7, der sich der partizipativen Arbeit und experimentellen Körperpraktiken widmet. Er kuratierte, kreierte, lehrte, performte und lebte dort bis Mai 2016. Neben dem Fokus auf Tanz und Körperkunst bot schwelle7 auch Workshops an, die sich mit praktischen und technischen Aspekten von SM-Play befassten und theoretische, ästhetische oder philosophische Fragen zu BDSM beleuchteten.

schwelle7 versuchte, Verbindungen, Parallelen und Übergänge zwischen der Welt der Kunst und der Sexualität zu untersuchen. Teil dieser Forschung war die Konzeption, Kuratierung und Ausrichtung des ersten Touch&Play Festivals im Mai 2010 in Zusammenarbeit mit Daniel Hayes.

Zu den Vortragenden und Künstlern, die bei schwelle7 vorgestellt wurden, gehören Peter Banki, Mona Blue, Stephan Dreher, Dossie Easton, Janet Hardy, Stéphane Fratti, Stanislav Grof, Matthias T.J. Grimme, Richard Hancock, Julyen Hamilton, Mo Herzinger, K.J. Holmes, Traci Kelly, Daniel Lepkoff, Barbara Mahler, Paula L. Rosengarthen, Pipaluk Supernova, Maggie Tapert, David Zambrano, La Zampa, um nur einige zu nennen. Zu den Meistern des Kinbaku - des japanischen Seilbindens -, die bei schwelle7 unterrichteten und auftraten, gehörten Osada Steve, Arisue Go, Nawashi Kanna, Midori, Hajime Kinoko, Akira Naka, Ren Yagami und andere.

Felix Ruckert entwickelte bei schwelle7 die Idee der Kunst als Fest weiter. Er experimentierte mit Projekten an der Grenze zwischen Performance und Party, wie der monatlichen Vollmondspielparty The Aristocracy of Desire, der stillen Spielparty Ocean of Other, dem Play Fight Club, der Bowen Lounge, dem schwelle7 Orchestra und dem wöchentlichen Bondage Jam.

Im Jahr 2011 gründete er zusammen mit der Sängerin Christine Borch und dem Bassisten Andy Benz die Popband CHASTITY. Die Band veröffentlichte im März 2013 das Album STAINS&SPLATTER.

Felix war auch maßgeblich an der Popularisierung von Shibari - der japanischen Seilfesselung - in Europa beteiligt und gilt als einer der Pioniere der sexpositiven und Conscious Kink Bewegung in Berlin. 2012 initiierte er eine Veranstaltung namens EURIX - European Rigger & Model Exchange - die sich der Entwicklung von Kinbaku (Japanese Rope Bondage) als Kunstform widmet. Zweimal im Jahr präsentiert die Veranstaltung die innovativsten, meist europäischen Seilkünstler und versammelt eine große Schar von Liebhabern für Praxis, Forschung, Performance und theoretischen Austausch. Die EURIX findet am Holzmarkt in Berlin statt.

Im Oktober 2020 eröffnet Felix einen neuen Veranstaltungsort in Berlin, am Holzmarkt 25, das IKSK - Institut für Körperforschung und sexuelle Kultur.

Foto: Julia Tham